Der Schnitzkünstler.
Marco Walli
Text und Bild: Marietta Kobald, luaga.ch
Nein, als Burgherr möchte er nicht bezeichnet werden, sagt Marco Walli bestimmt, während er am Fuss der Burg Strahlegg gemeinsam mit einem Bauunternehmer Armierungsnetze von einem Lieferwagen ablädt. Auf die Frage, ob er nach mehr als acht Jahren Sanierungsarbeiten an der Burg noch nicht genug hat, schmunzelt er nur und sagt, dass er im Burghof noch einen Platz mit Natursteinen belegen möchte, damit die Besucher sich auch im Freien an einen Tisch setzen können. Im Turm, auf dessen Mauerkrone bis vor ein paar Jahren noch meterhohe Tannen wuchsen, können sie nun, geschützt durch ein Dach an einer ritterlichen Tafel sitzend den Erzählungen des Burgherrn lauschen.
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Unentwegt ist Marco an der Arbeit, niemand würde ihm seine mehr als 80 Lenze geben. Vor über 50 Jahren hat er die Burg gekauft und für sich und seine Familie daneben ein Rundholzhaus gebaut. Seither hat er sich immer wieder um das zerfallende Gemäuer der Anlage gekümmert, musste aber einsehen, dass sein Einsatz ein aussichtsloses Unterfangen war. Da trat er an den Bündner Burgenverein und die Denkmalpflege und bat um Unterstützung. Seither hat sich viel getan. Während acht Jahren, immer im August haben sich der Vorstand vom Bündner Burgenverein und viele Freiwillige um die gesamte Anlage gekümmert, haben jährlich mindestens eine Woche Ferien geopfert um das brüchige Mauerwerk Instand zustellen. Seit Herbst 2013 präsentiert sich die Burganlage in hervorragendem Zustand, der Turm hat sogar Treppen, Podeste und ein Dach erhalten und ist so nutzbar geworden. Nutzbar auch für die eigentliche Berufung von Marco, denn er dient als Ausstellungsraum für seine geschnitzten und gedruckten Kunstwerke.Mit einem Beinbruch hat die Schnitzerei begonnen. Marco, der Skilehrer, zweifacher CH-Meister und Parsenn-Derby Gewinner sass nach einem Skiunfall im Jahr 1966 in seinem neuen Haus, unfähig körperlich strenge Arbeit zu verrichten. Aber den selbst geschreinerten Geschirrschrank mit Kerbschnitzerei zu verzieren, das war möglich. Diese Arbeit gefiel ihm, so dass er sich fortan und mit Unterstützung seiner Frau Gudrun der Schnitzerei widmete, ja diese zu seinem Haupterwerbszweig machte. Beharrlich brachte sich der Autodidakt die verschiedenen Schnitztechniken bei, wandte diese anfänglich eher bei Gebrauchsgegenständen an wie Stühlen, Buffets, Haustüren und Znünibrettchen. Es folgten grössere Aufträge, die seine kreativen Ideen und sein zeichnerisches Talent forderten. Unzählige Kunstwerke haben inzwischen seine kleine, gut organisierte Werkstatt in Strahlegg verlassen, Kunstwerke aus Holz auf denen ganze Lebensläufe festgehalten sind, Schränke nicht etwa aus weichem, leicht zu bearbeitendem Arvenholz, nein, aus Nuss- oder anderen Hartholzarten ergänzt mit Motiven aus gegossenem Zinn oder mit Steinen. Oder Kunstwerke auf Papier, denn auch das ist eine Spezialität von Marco; vielfarbige Holzschnitte mit heimatlichen Sujets, welche schon fast expressionistisch anmuten. Derzeit ruht aber der Druckstock, zu viele Fliegen, meint Marco. Ein Fliegenschiss auf dem ausgelegten Büttenpapier und die ganze Arbeit sei für die Katz. Dafür steht ein fast fertiger Grossauftrag in der Werkstatt, ein wunderschöner Kasten aus Nussbaum mit Zinnmotiven – 23 Kilo dieses Metalls hat Marco verwendet. Nur im Innern der Schranktüre fehlt noch was, sein Kürzel; es sieht aus wie der Turm der Burg Strahlegg mit einem kleinen Tännchen oben drauf.
Fakten zur Burg Strahlegg
Die Burg Strahlegg befindet sich auf einer Anhöhe zuunterst des Weilers Strahlegg in der Gemeinde Fideris und besteht aus der trapezförmigen Hauptburg, in deren Südwestecke sich der markante Turm erhebt. Man nimmt an, dass die Burg in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts erbaut wurde. Urkundliche Belege aus dieser Zeit fehlen. Im 14. Jahrhundert gehörte die Burg den Straiff. 1403 wurde sie dem Grafen Friedrich von Toggenburg zugesprochen, aber bereits um 1550 wird sie durch Ulrich Campell als Ruine bezeichnet. Chronist Jecklin sah sie 1870 in besserem Zustand, denn er erkannte noch Wohnungen, Gewölbe und Weiteres. Von der ursprünglichen Vorburg sind lediglich schwache Reste des Beringes sichtbar geblieben. Spuren eines Mauerschenkels reichten von der Burg bis gegen die einstige Prättigauerstrasse, welche bis Mitte des 18. Jahrhunderts nicht durch den Talgrund, sondern über Strahlegg führte. Weiter vermutet man, dass der Turm einst über ein aufgesetztes, drittes Geschoss aus Holz verfügte, da im Mauerwerk des Turms kein ursprünglicher Zugang vorhanden ist. Die jetzige, ebenerdige Öffnung in den Turm wurde erst 1890 heraus gebrochen, um im Gemäuer eine Sommerwirtschaft zu betreiben.
Die Sage von der Schanänn Jungfrau
In der Nähe der Fideriser Au, am Fussweg nach dem Dorfe Jenaz, stand früher ein kleines Haus, bei welchem man lange Jahre nachts eine Jungfrau, riesengross, in weissem Kleide, mit bleichem Gesichte und fliegenden, dunklen Haaren, lautlos umher schwebend erblickte. Wanderer flehte sie um Erlösung an und sagte ihnen künftige Dinge voraus. Diese bleiche Seherin war die Schanänn-Jungfrau. Manchem enthüllte sie die grausige Sage von den nahen Trümmern ihrer väterlichen Burg Strahlegg, den Untaten ihres Vaters und vom Untergang ihres Geschlechts.
Ihr Vater, ein reicher Mann, bewohnte ausser dem Schlosse Strahlegg auch in der Fideriser Au ein Haus. Zu ihm kam einst, als das Mädchen noch in der Wiege lag, ein armer Mann, der um eine Gabe ihm bat. Der Reiche verweigerte dieselbe. «So will ich dir etwas geben», entgegnete der Arme und gab ihm eine Nuss. «Die setze neben den grossen Stein». Er tat, wie der Arme ihn geheissen. «Aus der Nuss wächst ein Baum, aus dem Baum ein Zweig, aus dem Zweig ein Ast und aus dem wird man eine Wiege machen und das Kind, das in jener Wiege liegen wird, das soll deine Tochter da erlösen. Denn die muss bis dahin dein Geld hüten». Der Reiche wollte alsbald die verwünschte Nuss wieder aus dem Boden hervor graben, aber statt deren sprosste bereits ein Zweiglein ihm entgegen. Weiteres Unheil ahnend, wenn er dasselbe berühre, überliess er sich, durch das weite Feld irrend, der Verzweiflung. Seine Tochter wuchs heran, aber sie wurde ihres Lebens nicht froh; ihr schönes, bleiches Gesicht zeugte von innerem Grame und viele Jahre nach ihrem Tode muss sie die Schätze ihres Vaters hüten, bis ihre Erlösung in Form einer Wiege bewirkt ist.
Leicht gekürzt aus Dietrich Jecklin «Volkstümliches aus Graubünden»